ArtikelPerspektivenwechsel

„Perspektivenwechsel (3)“ – Formen der „Negativen“ Sichtweise (Pessimismus)

Wie im vorigen Artikel angekündigt, wollen wir in diesem Artikel das Thema „Pessimismus“ genauer beleuchten.

Beginnen wir mit einer Definition von Pessimismus wie er hier verstanden werden soll: es geht dabei um einen Gemütszustand, der einen ohne ersichtlichen Grund mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden und voller Sorge um die Zukunft sein lässt. In diesem Zustand sieht man in allem das Schlechte. Man denkt, dass überall Ungerechtigkeit herrscht, dass Rechte nicht respektiert würden, usw.

Warum kann man in so einen Zustand geraten?

Die Ursachen hierfür können sich in uns selbst und in den Vorstellungen finden, die wir uns von uns selbst und unseren Verdiensten machen, unseren überhöhten Erwartungen in Bezug auf andere, sowie der Vermutung, dass andere Menschen negative Intentionen uns gegenüber haben. Wenn wir so denken, kann uns das Leben nicht zufrieden stellen, da wir immer leiden werden. Zum einen, weil wir nie das bekommen von dem wir annehmen das wir es verdienen, zum anderen, weil sich die Menschen uns gegenüber nie so verhalten, wie wir es von ihnen erwarten. Das löst Schmerz und Leid in uns aus und erhöht den Druck auf unsere Psyche.

Betrachten wir diese pessimistischen Vorstellungen genauer: An unseren schlimmsten Tagen erscheint uns das Leben voller Widrigkeiten, da unser Schicksal die Dinge nicht in unserem Sinne gestaltet (Unfall, Jobverlust, vom Partner verlassen werden, schwere Krankheit, usw.). Diese negativen Gedanken entstehen häufig durch unangenehme Ereignisse oder emotionale Probleme und können unser Leben ungenießbar machen. Im Extremfall führt das zur sozialen Ausgrenzung: Weil wir überall das Schlechte sehen und alles kritisieren, schließen wir uns selbst von allem aus. Wir ertragen unsere angeblich so schlechte Umwelt nicht mehr, oder andere Menschen meiden uns instinktiv. Wer verbringt schon gerne seine Zeit mit einem solchen Menschen? Die Flut negativer Gedanken kann so allmählich zu einer Gewohnheit werden, die unsere ganze Persönlichkeit erfasst und uns alles schwarzsehen lässt, bis wir schließlich selbst ganz finster sind.

In ihrer extremsten Form kann diese negative Sichtweise an Paranoia grenzen. Dies ist der Fall, wenn jemand systematisch alles kritisiert und darüber hinaus glaubt, dass eine allgemeine Verschwörung gegen ihn im Gange ist, deren Opfer er ist. Er zieht sich mehr und mehr in eine nicht reale Welt zurück, die von seiner subjektiven Perspektive geprägt ist und in der jedes Verhalten der anderen in seinen Augen einen neuen Beweis für deren Bösartigkeit darstellt. Typisch für diesen Zustand ist, dass man mehr und mehr von Egozentrik durchdrungen wird und alles auf sich selbst bezieht und permanent denkt, dass man seine Rechte verteidigen müsse, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob einem diese vermeintlichen Rechte überhaupt zustehen bzw. ob die Ausübung seiner vermeintlichen Rechte im gegebenen situativen Kontext im Einklang mit ethischen Prinzipien stehen. Wenn zum Beispiel eine Situation, eine Geste, eine Äußerung sich direkt auf uns bezieht, empfinden wir das als Feindseligkeit; wenn sie sich nicht auf uns bezieht, fühlen wir uns ausgeschlossen. Es geht dabei also immer nur um uns. Man neigt dazu, die Welt ausschließlich aus seinem eigenen Blickwinkel zu sehen und hat Schwierigkeiten, sich in andere Menschen einzufühlen.

Die Paranoia kann in manchen Fällen auch zu einer Art Arroganz werden: Wenn wir uns überall nur noch auf das Schlechte konzentrieren, weil wir annehmen, dass wir die Bosheit, die Heuchelei und die Schäbigkeit der Menschen genau wahrnehmen können, kommen wir nach und nach zu der Überzeugung, dass nur wir über ein gut eingestelltes, moralisches Urteilsvermögen verfügen, das all die anderen nicht haben und wir machen somit unsere Moralvorstellungen zur Norm. Es kann sogar so weit gehen, dass wir unser empfundenes Unglück als ein Zeichen der Auserwähltheit verstehen – als ob das Schicksal alle Arten von Schlechtigkeiten speziell für uns bereithält -, wodurch wir uns in unserer Überlegenheit bestätigt sehen. Man hält sich für den “einzigen Reinen unter allen Befleckten”.

Einen Verstärker für Paranoia können in unserer heutigen Zeit auch die sozialen Medien spielen. Bei einem unreflektierten Konsum von sozialen Medien kann man allzu leicht ein völliges Zerrbild der Realität entwickeln, da man nur noch unter vermeintlich Gleichgesinnten kommuniziert, die eine genauso negative Sicht haben – andere Sichtweisen kommen ja nicht mehr vor, da die in sozialen Medien verwendeten Algorithmen diese herausfiltern. So kann man immer tiefer in eine surreale Welt der Verschwörungstheorien hineingesogen werden, dem sogenannten „Rabbit Hole“. Hierzu mehr in unserem Artikel „Die 7 digitalen Todsünden“.

Diese Beispiele zeigen, dass eine negative Sichtweise in erster Linie die Qualität unserer Wahrnehmung der Welt, der Werte, der Ereignisse und der Menschen massiv verzerrt. Wenn unsere Wahrnehmung einmal so massiv verzerrt ist, werden wir unsere gesamte Sichtweise von Grund auf anpassen müssen. Und wie wir bereits in dem vorhergehenden Artikel aufgezeigt haben, kann dies durch eine Umprogrammierung der eigenen Wahrnehmung wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, was viel Geduld und Willenskraft erfordert. Man muss dabei vom „Schlechtseher“ zum „Gutseher“ werden. „Gut sehen“ heißt dabei nicht, das Leben durch eine „rosarote Brille“ zu sehen. Gutes Sehen ist vielmehr das Ergebnis eines Lernprozesses, eines besseren Verständnisses der Beweggründe und Triebfedern unseres Handelns und des Handelns der Menschen um uns herum. Es geht also weder um blinden Optimismus („die ganze Welt ist schön, die ganze Welt ist nett“) noch um einen Zustand der Apathie oder Gleichgültigkeit gegenüber allem. Im Gegenteil, es ist wichtig, hinter die Ereignisse zu blicken, tiefer in die zugrundeliegenden Mechanismen einzutauchen und unser Handeln dementsprechend anzupassen, um den Zustand des guten oder richtigen Sehens zu erreichen.

Vorschau: Bevor wir im Rahmen dieser Artikelreihe zum „Gut- bzw. Richtigsehen“ kommen werden, wollen wir uns im nächsten Artikel zunächst noch genauer mit dem Erkennen der Symptome des „Schlecht Sehens“ beschäftigen. Ohne das genaue Erkennen der Symptome, wird eine Therapie nicht vielversprechend sein.

 

Autoren: Das Ethica Rationalis Redaktionsteam