Wenn wir über ärztliches Handeln sprechen, ist es unausweichlich im gleichen Atemzug auch über ethische Grundsätze zu sprechen, die sich mit der Bewertung menschlichen Handelns befassen. In einem früheren Beitrag haben wir bereits einen Blick auf die vier Prinzipien ethischen Handelns in der Medizin geworfen und diese erläutert. Zur kurzen Wiederholung: Das Georgetown-Mantra (1-3) bezieht sich auf die folgenden Prinzipien: 1. Selbstbestimmungsrecht des Patienten, 2. Prinzip der Schadensvermeidung, 3. Patientenwohl und 4. Soziale Gerechtigkeit.
Wie kann der Arzt diese Prinzipien in seinem Arbeitsalltag umsetzen?
Ein erster Schritt ist es sich an die Stelle seines Patienten zu versetzen und mit der Brille der „Goldenen Regel“ (4) seine Entscheidungen zu treffen. In diesem kurzen Beitrag werden wir die oben genannten Prinzipien unter Anwendung der Goldenen Regel diskutieren.
Der Mensch (der Patient) hat das Recht zu entscheiden, was mit ihm geschieht. Dies ist unbedingt vom Arzt (und prinzipiell von allen anderen Menschen) zu beachten. Der Arzt hat die Pflicht die Patientenautonomie zu respektieren und den Patienten über seine Krankheit, die möglichen Therapien und Nebenwirkungen ebensolcher zu informieren. Letztlich muss er die Entscheidung des Patienten akzeptieren, welche Therapie der Patient wünscht oder eben nicht wünscht, welche Nebenwirkungen der Patient gewillt ist zu akzeptieren oder eben nicht zu akzeptieren. Aus dem Blickwinkel der „Goldenen Regel“ betrachtet, sollte der Arzt den Patienten so behandeln, wie er selbst auch als Patient behandelt werden möchte. Niemand möchte, dass seine legitimen Rechte verletzt werden, auch ein Arzt in der Rolle des Patienten nicht, daher sollte der Arzt den Patienten ernst nehmen, wie auch er ernst genommen werden möchte. Der erste Schritt für den Arzt ist daher den Patienten als Menschen mit dem Recht auf Selbstbestimmung wahrzunehmen.
Der Arzt hat die Pflicht zum Wohle des Patienten zu handeln, aber auch Schaden von ihm abzuwenden. Bei schwer kranken Patienten ist es ein wahrer Spagat zwischen dem Heilen- und dem möglichst nicht Schaden-Wollen abzuwägen. Der Arzt muss regelmäßig eine Nutzen-Risiko-Analyse durchführen. Viele Therapien insbesondere in der Krebsbehandlung sind giftig. Sie können schwere, zeitlich begrenzte Nebenwirkungen haben oder aber Organe sogar permanent schädigen. Es muss dann zusammen mit dem Patienten die Entscheidung getroffen werden, ob man Leben verlängern will – soweit möglich (Wahrscheinlichkeit) – aber oftmals gleichzeitig eine deutlich reduzierte Lebensqualität in Kauf genommen werden soll. Auch hier muss sich der Arzt an die Stelle seine Patienten versetzen, ohne jemals die Patientenautonomie außer Acht zu lassen. Nehmen wir zum Beispiel einen Patienten im Endstadium einer Krebserkrankung. Der Patient hat vielleicht bereits viele Therapien erhalten, die Erkrankung schreitet jedoch weiter voran. Vielleicht kann man durch eine weitere Chemotherapie das Voranschreiten stoppen oder sogar zurückdrängen, gleichzeitig ist es jedoch möglich, dass die Lebensqualität durch die Therapie eingeschränkt wird und im schlimmsten Fall sogar keine Wirkung der Therapie eintritt. Der Arzt muss den Patienten über diese Möglichkeiten mit voller Transparenz aufklären– ohne jede unethische Motivation, genauso wie er eben selbst als Patient gerne sachlich und umfangreich aufgeklärt werden wollte, auf seine Fragen so sachlich ausreichend und umfänglich wie nur möglich eingehen, damit der Patient in die Lage versetzt wird selbst eine Entscheidung treffen zu können und zum Schluss muss er die Entscheidung des Patienten für oder gegen die Therapie akzeptieren.
Man möchte meinen, dass in der Medizin ethisches Handeln mehr als in jedem anderen Bereich eine Rolle spielt, weil es gerade die Medizin ist, die sich so unmittelbar mit dem physischen und psychischen Wohlergehen des Menschen befasst. Aber ethisches Handeln ist natürlich nicht nur für eine bestimmte Berufsgruppe reserviert, es geht uns alle an. In unserem täglichen Leben, unserem Handeln gegenüber unserer Familie, unserem Lebenspartner, unseren Kindern, unseren Eltern und allen anderen, mit denen wir täglich in Kontakt stehen. Wir können jedoch in der Entwicklung unserer Menschlichkeit und unserer gesunden Vernunft nicht erfolgreich sein und auch nicht voranschreiten, wenn wir über die Ethik und ethisches Handeln nur reden und diese nur auf theoretischer Ebene studieren (In Vitro). Wir alle müssen diese im Alltag anwenden (In Vivo). Wie sonst will man herausfinden, ob man das ethische Prinzip, das man theoretisch studiert hat, auch überhaupt in der Lage ist konkret und sinnvoll anzuwenden und wie sonst will man auch herausfinden, ob ein ethisches Prinzip tatsächlich verinnerlichter Teil seines Denkens geworden ist. Ein erster Schritt ist es, sich an die Stelle des anderen zu versetzen und andere so zu behandeln, wie man von Ihnen behandelt werden möchte.
Autor: Prof. Dr. med. Kambiz Rahbar
Referenzen:
- „Die vier Prinzipien ethischen Handelns in der Medizin“, Ethica Rationalis e.V., Oktober, 2010.
- Beauchamp, T. L. & Childress, J. F.: Principles of Biomedical Ethics. 6th Edition. Oxford University Press 2008
- T. Noak, H. Fangerau, J. Vögele, Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Urban&Fischer 2007
- „Die Goldene Regel“, Ethica Rationalis e.V., Februar 2011