Wirtschaftsethik

Vom Wald und den Bäumen in der heutigen Leistungsgesellschaft – oder wie beuge ich dem „Burn-out“ vor?

Die bekannte Redewendung „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“ will im Arbeitskontext sagen, dass man nur noch eine unüberschaubare Vielzahl von „To Do‘s“ sieht, aber den Überblick über das Ganze, insbesondere die eigentlichen Prioritäten verloren hat. Das ist es unter anderem, was dazu führen kann, dass man schlicht „ausbrennt“. Wie lässt sich aber nun mit der Masse der Bäume umgehen und der Wald so lichten, ohne einen Burn-out zu riskieren? „Burn-out“ ist in letzter Zeit zum Modewort geworden, wurde aber schon 1974 von Herbert Freudenberger in seinem Buch, “Burnout: The High Cost of High Achievement” definiert, und zwar als „Nachlassen bzw. Schwinden von Kräften oder Erschöpfung durch übermäßige Beanspruchung der eigenen Energie, Kräfte oder Ressourcen“.

Jüngst gab es viel Aufregung um einen Artikel, in dem Sheryl Sandberg, Vorstandsvorsitzende von Facebook, dafür lobgepreist wurde, dass Sie ihr Büro täglich um 17:30 Uhr verlässt, um mit ihren Kindern zusammen zu sein. Tatsächlich praktiziert sie dies seit Jahren, nur vor kurzem kam diese Tatsache auf. Ist es nicht eigenartig, dass es Frau Sandberg für notwendig erachtet hat, dieses Verhalten bislang zu verstecken? Schließlich weiß man inzwischen, dass Arbeitszeiten von 40 Stunden die Woche und mehr die Produktivität nicht erhöhen, sondern im Gegenteil sogar reduzieren. Schon in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts hat der Kfz-Hersteller Ford Dutzende Tests mit dem Ziel durchgeführt, die optimale zeitliche Arbeitsbelastung für die höchste Arbeitsproduktivität herauszufinden. Ford fand dabei heraus, dass der Wendepunkt bei ca. 40 Stunden die Woche liegt, d.h. jede Mehrarbeit bringt tatsächlich nur noch einen im Verhältnis zur mehr aufgewandten Arbeitszeit stetig abnehmenden Zuwachs an Produktivität. Bei mehr als 20 Arbeitsstunden und nach einem Zeitraum von  3 bis 4 Wochen nahm die Produktivität sogar ab.

Jeder, der in einem unternehmerischen Umfeld tätig ist, der unter enormem Zeit- und Zahlendruck arbeitet, weiß aus eigener Erfahrung, dass das, was für Industriearbeiter im letzten Jahrhundert gegolten hat, auch für „Büro-Arbeiter“ von heute gültig ist. Menschen, die in der Regel 40 Stunden die Woche arbeiten, haben üblicherweise ihr Höchstmaß an Produktivität erreicht und sind unterm Strich kaum weniger produktiv, als Menschen, die regelmäßig 60 Stunden die Woche arbeiten und mehr. Die sog. „Workaholics„ mögen denken, dass sie mehr erreichen, als weniger „fanatische Arbeiter“, aber in allen Fällen, die ich persönlich an anderen und mir selbst beobachtet habe, münden die vielen Mehr-Stunden doch oft nur in Arbeitsergebnissen, die mangelhaft sind, überarbeitet oder im schlimmsten Falle ganz neu erstellt werden müssen.

Mit anderen Worten, wenn man möchte, dass man am meisten erledigt kriegt – und zwar dauerhaft und vor allem ohne seine gesundheitlichen Ressourcen zu verschleißen – sind um die 40 Stunden die Woche genau das Richtige, um dieses Ziel zu erreichen. Daher sollte sich niemand dafür entschuldigen müssen, seinen Arbeitsplatz zu vernünftiger Zeit um 17:30 Uhr zu verlassen.

Natürlich stellt das oben Gesagte in gewissem Sinne eine Vereinfachung und Reduzierung der Gründe dar, die letztendlich zum Burn-out führen, also zu Symptomen wie Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Depression. Neben überlangen Arbeitszeiten gibt es weitere Gründe, die sich massiv auf unsere Leistungsfähigkeit und das Gefühl den Überblick verloren zu haben auswirken:

  • Was wir in vielen Fällen verloren haben, sind vor allem Haltepunkte, Ziellinien, Grenzen. Die Technologie von heute hat sie bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen lassen. Wo immer wir auch hingehen, unsere Arbeit wird uns folgen, auf unseren kleinen digitalen Geräten, immer insistierend und aufdringlich. Es ist wie ein Jucken und wir können nicht aufhören uns zu kratzen, obwohl es das Kratzen eigentlich immer schlimmer macht.
  • Seien Sie ehrlich: Beantworten Sie Emails während Telefonkonferenzen (und manchmal sogar zwischen Telefonaten mit anderen Personen)? Bringen Sie Ihren Laptop zu Meetings und arbeiten neben dem Zuhören Emails ab? Essen Sie an Ihrem Schreibtisch zu Mittag? Machen Sie Telefonate während Sie Auto fahren, und senden sogar Emails dabei, obwohl Sie wissen, dass Sie dies nicht tun dürften?

Wenn wir uns so verhalten, schaden wir in erster Linie uns selbst. Teils ist dies dem Umstand geschuldet, dass man seine Aufmerksamkeit „teilt“, so dass man sich in vielfältigen Aktivitäten wiederfindet, aber sich kaum irgendeiner von diesen vielen Aktivitäten zur Gänze widmen kann. Teils ist es dem Umstand geschuldet, dass man den Zeitaufwand erhöht, den es braucht, um eine Aufgabe erledigen.

Jeder kennt das aus seiner eigenen Erfahrung. Am Anfang der Woche, am Anfang eines jeden Tages und mit Pausen nach gewissen Zeitabschnitten – weg vom Schreibtisch – bekommt man einfach mehr „gebacken“ – und meist in besserer Qualität. Folgende Dinge können laut Tony Schwartz helfen, leistungsfähig und zugleich entspannt zu bleiben:

  • Zeitvorgaben planen und einhalten. Planen Sie Meetings für höchstens 45 Minuten, damit die Teilnehmer auch fokussiert bleiben können, nehmen Sie sich anschließend lieber die Zeit, über das im Meeting Gesagte nachzudenken und erholen Sie sich vor der nächsten, anstehenden Verpflichtung.
  • Hören Sie auf ständige Ansprechbarkeit von Ihren Mitarbeitern oder Kollegen zu erwarten oder gar zu verlangen. Ein solches Verhalten drängt die anderen in einen reaktiven Modus, zerteilt ihre Aufmerksamkeit und macht es für sie schwer, sich auf ihre eigentlichen Prioritäten zu konzentrieren. Es muss erlaubt sein, sich für einen gewissen Zeitraum zu entziehen und auch einmal nicht erreichbar zu sein. Das gilt auch für Sie selbst.
  • Rekreationsphasen einbauen. Wann immer ein Teil einer Aufgabe erledigt ist, sollten Sie sich eine Pause zur Erholung gönnen. Gehen Sie raus, reden Sie mit anderen über Privates, machen Sie ein Nickerchen, treiben Sie Sport, gehen Sie mit Ihrem Hund spazieren, telefonieren Sie mit Ihrem Partner, spielen Sie mit Ihren Kindern, etc.
  • Machen Sie das Wichtigste als allererstes am Morgen. Am besten für einen Zeitraum von ein bis maximal zwei Stunden. Arbeiten Sie während dieser Zeit, wenn möglich, in einer ruhigen Umgebung oder mit Ohrstöpseln. Widerstehen Sie jedem Impuls nach Ablenkung, bis der vordefinierte Zeitraum abgelaufen ist. Umso mehr man sich einer Aufgabe ganz widmet, desto produktiver wird man sein. Wenn der Zeitraum abgelaufen ist, sollte man sich seiner Rekreationsphase widmen.
  • Richten Sie Zeitfenster ein, in denen Sie Ihre Aufgaben feststellen, prüfen und bewerten, denken Sie also in diesen Zeitfenstern eher langfristig, kreativ oder strategisch. Machen Sie das nicht, werden Sie Opfer der „Tyrannei des immer Dringenden“, da Sie den Überblick über Ihre Aufgaben verloren haben und nicht mehr richtig priorisieren. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man sich in diesen Zeitfenstern dem Zugriff anderer „entziehen“ sollte (Telefon aus, Email aus) und diese Aufgabe am Ende eines Arbeitstages machen sollte – den Tag und seine erledigten oder unerledigten Aufgaben sozusagen Revue passieren lassen und den kommenden Tag organisieren und noch zu erledigende Aufgaben in eine Rangfolge bringen.
  • Nehmen Sie echte und regelmäßige Urlaubszeiten. Echt heißt, wenn Sie „out of office“ sind, dann sind Sie dies auch – „disconnected from work“. Regelmäßig heißt, mehrmals jährlich, auch wenn es sich lediglich um ein paar verlängerte Wochenenden handelt. Um den Kopf wieder frei für neue Gedanken und Kreativität zu bekommen, sollte man längere Auszeiten nehmen und sich vor allem mit völlig anderen Dingen beschäftigen als Arbeitsthemen.

Autor: Redaktionsteam

 

 

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