EventsWirtschaftsethik

Verantwortung lernen, Verantwortung lehren? Wie weit geht der Auftrag der Hochschulen?

Rückschau zur Podiumsdiskussion in Kooperation von
Hochschule München, TU München, IBZ München und Ethica Rationalis e.V. am 8. November 2010

Unser herzlicher Dank geht an den Vorstand des Internationalen Begegnungszentrums der Wissenschaft (IBZ) und die Programmdirektorin Monika Stoermer für die Gelegenheit, diese Veranstaltung als Kooperation von Ethica Rationalis mit dem IBZ, der Hochschule München und der TU München durchzuführen.

Nach der Begrüßung durch Monika Stoermer vom Internationalen Begegnungszentrum der Wissenschaft schickte Gabriele Vierzigmann, Vizepräsidentin der Hochschule München, in ihrem Grußwort einige thesenartige Anmerkungen zum Leitthema ‚Verantwortung’ voraus: Ein wesentlicher Kollateralschaden des Bologna-Prozesses seien unter anderem verunsicherte Studierende, die Orientierung suchten und bräuchten; in Hinblick auf die akademische Bildung und den Unterschied der Hochschulbildung gegenüber anderen Bildungswegen fehle ihrer Meinung nach eine Kultur des Diskurses.

Sie warf auch die Frage auf, wie sich Studierende in Hochschulen beteiligen sollten, die zwischen Selbstverwaltungs-Stress und quasi-unternehmerischem Anspruch ständigem Wandel und Unruhe unterworfen seien. Und schließlich fragte sie: „Wen meinen wir denn eigentlich mit ‚Studierenden’?“ und zog den Schluss, dass das Thema ‚Diversity‘ eine zunehmende Herausforderung sein werde, auf die sich die Hochschulen einstellen müssten.

Mit ihrer Einführung in das Thema des Abends richtete Angela Poech, Ethica Rationalis e.V., bewusst den Fokus auf die individuelle Funktion der Ethik. Diese sei zum einen notwendige und unerlässliche Voraussetzung für das Zusammenleben in der Gesellschaft, habe aber gleichermaßen auf das Individuum eine ausgleichende und harmonisierende Wirkung: Durch die Anwendung ethischer Prinzipien bilde der Einzelne Tugenden in sich aus, die auf ihn selbst und auf seine Mitmenschen eine positive Wirkung haben.

Zum Auftakt: Impulsvortrag ‚Verantwortung als Bildungsaufgabe der Hochschulen’

Es folgte der Impulsvortrag von Leo Montada, emeritierter Professor für Psychologie und ehemals Direktor des Leibniz-Zentrums für Psychologische Information und Dokumentation an der Universität Trier, zur ‚Verantwortung als Bildungsaufgabe der Hochschulen’. Er führte bewusst provozierend in das Thema ein, indem er den Unterschied zwischen (determiniertem) Verhalten und (entscheidungsbasiertem) Handeln erläuterte und die Aspekte der Unverantwortlichkeit bzw. Verantwortungslosigkeit beleuchtete. Begriffe wie Eigennützigkeit, Rechtfertigung durch Systemzwänge, normative Dilemmata verdeutlichten die vielen Facetten der Ausreden aus der Verantwortlichkeit. Systemische Betrachtungen seien bei der Anmahnung von Verantwortung im Hochschulbereich zwar unerlässlich, vielmehr aber sei dieses systemische Denken auch unbedingte Voraussetzung für die eingeforderten Änderungen hin zur Besserung auf Handlungsebene. Und Besserung meine hier die (Rück-)besinnung auf Verantwortung. Das eigene – persönliche wie berufliche – Handeln müsse daraufhin erwogen werden, in welchen Zusammenhängen es stehe und welche Implikationen es habe. Dazu sei sowohl bei Dozenten wie auch bei Studierenden der Austausch untereinander nötig sowie sorgsames, kompetentes und perspektivenreiches Erwägen auf der Grundlage der validesten verfügbaren Informationen. Divergierende Meinungen seien erlaubt, diskursive Auseinandersetzung in Konflikten erwünscht, solange die Beteiligten das Ziel verfolgen, in konstruktiver Weise diese Konflikte beizulegen. Die Bildung von all dem wäre Leo Montada zufolge eine wichtige Aufgabe der Hochschulen.

Erste Runde: Was bedeutet ‚Verantwortung lernen, Verantwortung lehren’?

Angela Poech dankte für diese Einstimmung und eröffnete die Podiumsrunde mit Fragen an die Experten, die zunächst wichtige Stationen ihrer jeweiligen Biografie beleuchteten. Hier einige Highlights aus den Aussagen der Podiumsteilnehmer:

Zur Frage nach der moralischen Kompetenz unter den Studierenden früher und heute erläuterte Hans Maier, emeritierter Professor für christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie an der Universität München und Bayerischer Staatsminister a.D. für Unterricht und Kultus, dass das in seinen jungen Jahren vorhandene Wertefundament, in das man als Schüler und Student eingebettet war, seiner Beobachtung nach im Laufe der Jahre abgebaut wurde. Um dem heute wieder aufgekommenen Bedürfnis danach zu entsprechen, müsse sich jeder Hochschullehrer fragen: „Wer bin ich? Wie muss ich mich verhalten?“ Mit dieser Reflektion, so seine Aussage,  wäre schon viel gewonnen.

Dieter Frey, Professor für Sozialpsychologie an der LMU München, fasste die Ziele der von ihm geleiteten bayerischen Elite-Akademie als ‚Ausbildung von Verantwortungselite’ zusammen, nicht nur Elite der Notenbesten. Mit der Vermittlung von Wissen, Handlungskompetenz, Werten, Verantwortung, Vorbild und Verpflichtung habe er dort viele positive Erfahrungen gemacht. In dem ebenfalls von ihm geleiteten Center for Leadership and People Management an der LMU sollen aus hervorragenden Wissenschaftlern, denen zuweilen Führungserfahrung fehle, Persönlichkeitsbilder für ethisch orientierte Studierende und spätere Führungskräfte werden.

Katharina Klugs Wahl ihres Studiengangs ‚Management sozialer Innovationen’ gründete ihrer Aussage nach auf ihrer Ausbildung als Erzieherin. Denn

dort musste sie – als künftige Identifikationsfigur für Kinder – ihre eigenen Werte definieren. Daraus habe sich das Bedürfnis nach mehr Tiefe in Sachen Verantwortung ergeben – in puncto Erziehung und in puncto Gesellschaft. Neben ihrem eigenen Fach engagiere sie sich seither auch bei sneep, dem

‚Studentischen Netzwerk für Wirtschafts- und Unternehmensethik’, dessen Motto ist: „Wenn die Universitäten das Thema Wirtschaftsethik nicht an uns herantragen, dann tragen wir es eben in die Universitäten“. Die Resonanz der Studierenden aus verschiedensten Fachrichtungen auf Veranstaltungen im Bereich Wirtschaftsethik sei sehr positiv: „Es ist ganz klar, dass es hier ein Bedürfnis gibt.“, sagte sie.

 

Zweite Runde: Brauchen Hochschulen Werte-Leitbilder?

In der anschließenden Diskussion wurden einzelne Punkte aus dem Thesenpapier, das im Vorfeld der Veranstaltung von den Organisatorinnen (Barbara Egerer und Dr. Eva Sandmann von der TU München sowie Prof. Dr. Angela Poech, Hochschule München) erstellt worden war, vertieft. Dieter Frey berichtete u.a. über Bemühungen an der LMU, die derzeit an der Aufstellung eines Werte-Leitbilds arbeite. Dazu gehören Themen wie: „Wie gehen wir mit unseren Kollegen und Mitarbeitern um? Dürfen wir den Homo oeconomicus mit seinem kurzfristigen und egoistischen Denken fördern? Wie bilden wir die Multiplikatoren von morgen aus, die Einfluss auf die Zukunft der nächsten Generation haben?“. Der Appell an mehr Verantwortung alleine reiche aber natürlich nicht aus – man müsse die Betroffenen darin ausbilden. Dazu ein Beispiel: Es genüge nicht, an die Bereitschaft zu Erster Hilfe zu appellieren, man müsse sie einüben. Nur das bringe Selbstvertrauen, Sicherheit, Handlungskompetenz und Verantwortlichkeit.

Hans Maier bestätigte dies: Laut Bonhoeffer könne man den Deutschen nicht Mangel an Mut vorwerfen, aber die Zivilcourage sei unterentwickelt. Aus philosophischer Sicht, fügte er hinzu, habe Kant mit seinem Ansatz, der gute Wille ist wichtig, nicht der Wille, Gutes zu tun, gar die ganze Ethik subjektiviert. Was von Leo Montada insofern ergänzt wurde, als er betonte, dass zur Gesinnungsethik (nach Max Weber) und Verantwortungsethik der Handlungserfolg als Maßstab und Messgröße hinzukommen müsse.

Dritte Runde: Verantwortung praktisch umsetzen – auch an Hochschulen!

Im Folgenden gaben die Experten einige praktische Tipps zur Umsetzung: Leo Montada warnte davor, das Anliegen in freiwillige Module eines begleitenden Studium generale auszulagern. Vielmehr sollte jeder Dozent 10-12 Fälle problematischen Handels in seiner eigenen Fachrichtung einbauen, die Chancen und Risiken der eigenen Disziplin verdeutlichen und die Studierenden damit mit der Verantwortlichkeit für das eigene Handeln konfrontieren. Seiner Ansicht nach würden auch philosophisch nicht vorgebildete Studierende hier begeistert mitmachen.

Katharina Klug ergänzte aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz: Gleich zu Beginn des 1. Semesters im Studiengang ‚Management Sozialer Innovationen’ habe es den Aufruf an die Studierenden gegeben, sich für das Gemeinwohl an ihrer Hochschule zu engagieren. Daraus entstand ein konkretes Projekt für ein Campus-Café – ein Ort sollte geschaffen werden, an dem Austausch, Vernetzung und fallorientiertes gemeinschaftliches Lernen ermöglicht würde. Die Studierenden, die hier aktiv wurden, hätten viel Arbeit in Recherchen und Projektierung gesteckt, seien auch von Professoren unterstützt und in Hochschulgremien eingeladen worden, um ihre ausgearbeiteten Vorschläge zu präsentieren. Letztlich sei die Umsetzung aber aufgrund von strukturellen Beschränkungen nicht möglich gewesen. Die Forderung nach Engagement sei das eine – die Unterstützung in der Phase der Realisierung das andere… Eine ihrer Unterstützerinnen habe es einmal so zusammengefasst: „Es gibt Ermöglicher und es gibt Verhinderer“.

Zu guter Letzt: Persönliche Verantwortung ist die Voraussetzung für Gemeinwohlverantwortung

In einer Abschlussrunde gab es noch mehrere Beiträge aus dem Publikum. Unter anderem wurde Dieter Frey gefragt, wie man es den Studierenden verübeln könne, dass sie das Thema Verantwortung wenig berühre, da sie doch erst im 10. Semester BWL (das sie an der LMU studiere) über das Thema CSR (Corporate Social Responsibility) hören? Dieter Frey gab der Fragenden Recht und wies darauf hin, dass, solange dies nicht vom System her geändert werde, jeder Dozent seinen eigenen Weg suchen müsse – so wie er selbst versuche, in seinen eigenen Veranstaltungen anders zu handeln und seinen Studierenden etwa die Aufgabe stelle, über drei Punkte oder Maßnahmen nachzudenken, die Deutschland helfen könnten… Eine Dame stellte schließlich die folgende Bemerkung in den Raum: Es heiße immer, wir möchten kritische, moralisch denkende Menschen. Wenn man sich aber im Leben umschaut, fragt man sich: „Möchte diese Land wirklich solche Menschen haben? Zielt die ganze Bildung nicht dahin, dass eben keine kritischen Menschen gewollt werden?“

Als Schlusswort zitierte Angela Poech ein Wort von Leo Montada: „Persönliche Verantwortung ist die Voraussetzung für Gemeinwohlverantwortung“. Der Abend habe dies in überwältigender Weise bestätigt, denn die große Übereinstimmung in den Aussagen und Meinungen der Experten, aber auch der Zuhörer verdeutliche, dass das Thema ‚Verantwortung an den Hochschulen’ vielen Menschen am Herzen liege. Insofern sahen sich die Organisatorinnen darin bestätigt, einen Nerv getroffen zu haben. Sie bedankte sich herzlich bei den Teilnehmern und lud zum anschließenden Imbiss ein, bei dem noch eifrig weiter diskutiert wurde.

Aufruf zum Workshop für interessierte Dozenten und Studierende im Frühjahr 2011

Angela Poech und ihre beiden Kolleginnen von der TU München sehen der Fortsetzung des Diskurses in einem nächsten Schritt freudig entgegen: Im Frühjahr 2011 wird ein Workshop stattfinden, in dem praktische Umsetzungsmöglichkeiten erarbeitet und gelernt werden sollen. Alle interessierten Dozenten und Dozentinnen sowie die Studierenden sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Wenn Sie diese Rückschau lesen und ebenfalls Interesse an solch einem Workshop haben, bitten wir Sie, sich an Ethica Rationalis (info@ethica-rationalis.de) oder direkt an Angela Poech (angela.poech@hm.edu) zu wenden.

 

Autoren: Barbara Egerer, Angela Poech