Wer möchte nicht gern den Blick in die Glaskugel wagen? Erik Händeler hat sie irgendwie immer dabei. Mit dem Unterschied, dass seine Zukunftsprognosen nicht von spiritueller Natur sind, sondern auf fundierter Forschung fußen. Um es konkret zu machen: Seine Annahmen basieren auf der Kondratiefftheorie der langen Strukturzyklen. Erik Händeler ist Zukunftsforscher. Am 13.04.2019 nahm er uns beim PhiloBrunch mit in die Welt von Morgen.
Der Blick zurück: Paradigmenwechsel in der Geschichte
Es war einst zum Beispiel die Dampfmaschine oder die Elektrizität, die Leben und Arbeit verändert haben. Heute ist es die Digitalisierung, die einen Paradigmenwechsel einläutete. Aber was kommt als nächstes? Um eine Hochrechnung für die Zukunft machen zu können, bedarf es zunächst den Blick in die Vergangenheit. Nach der Kondratiefftheorie treten Innovationen zyklisch auf, in so genannten langen Wellen. Diese Phasen werden ausgelöst durch disruptive Technologien, die die Produktivität erhöhen und damit für Wirtschaftswachstum sorgen. Ist der Produktivitätszuwachs ausgeschöpft, kommt es zu einer Stagnation. Diese Betrachtung des wirtschaftlichen Auf- und Abschwungs wird als eine Kondratieff-Welle bezeichnet. Die erste Kondratieff-Welle wurde erzeugt durch die Dampfmaschine, gefolgt von der Eisenbahn und Elektrotechnik. Die 4. Periode war geprägt durch das Automobil, heute befinden wir uns im 5. Zyklus, der Informationstechnik*.
Doch wie kam es überhaupt zu diesen weltverändernden Erfindungen? Nach Händeler gibt es immer eine ökonomische Notwendigkeit für Innovation. Denn dort wo etwas knapp wird, entsteht der Bedarf, etwas Neues in Betracht zu ziehen. So wurde beispielsweise die Eisenbahn erfunden, weil es Logistikengpässe gab. Rückblickend klingt das alles sehr logisch. Aber „was ist der nächste Flaschenhals in der Entwicklungsgeschichte?“, um es in Händelers Worten zu formulieren. Denn Zeiten in denen Computer die Welt produktiver machten, sind längst vorbei. Also wir die Frage laut:
Was wird in den Geschichtsbüchern mal als die 6. Kondratieff-Welle bezeichnet?
Gemäß Händeler: Gesundheit und Umgang mit Wissen.
Dabei geht es laut dem Zukunftsforscher nicht darum, härter zu arbeiten, sondern Wissen einzuordnen. Big Data ist fast schon ein alter Hut in der Wirtschaft. Daten und Wissen vervielfachen sich unaufhaltsam. Die Kunst ist es, damit umgehen zu können und die erworbenen Informationen verarbeiten zu können. Universalgelehrte, wie es sie früher mal gab, sind heute nicht mehr denkbar. Um der Komplexität des ungeordneten Wissens Herr zu werden, bedarf es zum einen Menschen mit sehr breiter Allgemeinbildung und zum anderen Spezialisten mit tiefer Nischenkompetenz.
„Gummihierarchien“ werden immer wichtiger
Die Begründung ist simpel: Dank der Globalisierung kann ein Hochleistungscomputer mit derselben Produktivität an vielen verschiedenen Orten der Welt stehen. Denn er ist an jedem Standort in der Lage dieselben Berechnungen durchzuführen. Aber der entscheidende Unterschied ist der Mensch dahinter. Wer besser mit den Ergebnissen und dem Wissen umgehen kann, wird im Wettbewerbsumfeld bestehen. Und dabei wird einer allein immer weniger ausrichten können. Interdisziplinäre Teams, die auf Augenhöhe Themen bearbeiten, sind dabei der Schlüssel zu mehr Produktivität. Persönliche Befindlichkeiten, Machtdenken oder Statusorientierung sind dabei kontraproduktiv. Es braucht mehr denn je „Gummihierarchien“ wie Händeler sie bezeichnet. Heute ist man in dem einen Team verwurzelt, übermorgen in einem anderen Projekt. Starre Strukturen müssen sich auflösen, um die Produktivität wieder zu erhöhen und Kenntnisaustausch muss bilateral erfolgen. Die Informationsflut macht es unmöglich, dass Wissensträger nur noch auf der höchsten Hierarchieebene sitzen. Gemeinschaftlich statt Gegeneinander wird mehr denn je zum Erfolgsgarant.
Knappheit ist Treiber von Veränderung. Laut Händeler wird geistige und körperliche Gesundheit zunehmend zur Rarität.
Der einzelne Mensch als Teil eines Teams wird immer wichtiger. Fehlte dem Straßenarbeiter früher die Kraft, hat man ihm einen Presslufthammer zur Verfügung gestellt und die Produktivität damit wieder angetrieben. Heute arbeiten wir zunehmend in einer „gedachten Welt“, in der planen, beraten, organisieren elementare Aufgaben sind. Es sind Fähigkeiten eines Einzelnen gefragt, die nicht mehr so einfach ersetzbar sind. Der Fachkräftemangel wird immer größer und besondere Fähigkeiten ein wertvolles Gut. Die beste Bildung hilft jedoch nichts, wenn man seine Kompetenz aufgrund fehlender Gesundheit nicht einsetzen kann.
Der Blick in die Zukunft: Der Mensch im Mittelpunkt
Fasst man die beiden Zukunftsprognosen „Umgang mit diffusem Wissen“ und „Gesundheit“ zusammen, fällt auf, wie stark der Mensch in den Vordergrund rückt. Die Unternehmen, die universalethisch agieren, werden erfolgreich sein. Das heißt, diejenigen, die den Menschen mit Würde behandeln. Mobbing und Ellbogenmentalität war gestern – Wertschätzung und Investition in Gesundheit ist heute.
Dabei kam bei den Teilnehmern die Frage auf, ob wir nicht Gefahr laufen, genau den Menschen zu vernachlässigen, wenn wir uns nur auf die Produktivität fokussieren? Dass die Gesundheit des Einzelnen immer mehr in den Vordergrund gerückt werden muss, ist in der Tat ökonomisch begründet worden: Burnout ist nicht produktiv, also müssen wir daran arbeiten es zu beseitigen. Die Herleitung ist rational formuliert. Dass der einzelne Mensch rein aus Effizienzsteigerungs-Gründen profitiert, ist im Prinzip nur ein positiver Nebeneffekt. Aber Händeler betont auch, dass das nicht der letzte Zweck ist. Unser Tun darf und soll aus ethischem Antrieb resultieren. Denn ökonomisches Handeln bedeutet auch soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Aber nicht nur ein Firmengründer hat einen karitativen Auftrag. Um ein gesundes Umfeld zu fördern, kann jeder Einzelne von uns seinen Beitrag leisten. Zum Beispiel durch Verantwortung für seine Mitmenschen, Versöhnungs- und Kooperationsbereitschaft. Gesundheit bedeutet eben immer ein Zusammenspiel aus Körper und Geist.
Umso höher der Digitalisierungsgrad, umso wichtiger wird der Mensch hinter der Technik.
Ob man nun eine Glaskugel Zuhause hat oder nicht, eines ist klar: Es lohnt sich offensichtlich künftig ein fürsorglicher, partnerschaftlicher und aufmerksamer Mensch zu sein. Denn neben der Motivation, ein guter Mensch zu sein, wird ethisches Handeln immer mehr zum Erfolgsfaktor werden.
Weitere Einblicke verleiht Ihnen Herr Händeler u.a. auch auf YouTube:
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Autorin: Anja Kaiser
Beitragsbild: Wolfgang List
*Quellen: 1) Erik Händeler: Die Geschichte der Zukunft. Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen; Verlag: Brendow; Auflage: 11., aktualisierte Auflage 2018 (1. Januar 2005) und 2) L. (2001): Wirtschaftsgeographie 1 – Theorie. 8., überarbeitete Auflage. 149-154. Paderborn, München, Wien, Zürich