Studierende aus den Studiengängen für Soziale Arbeit an der Hochschule München haben unter Leitung von Prof. Dr. Caroline Steindorff-Classen ein Leseprojekt für junge Straftäter entwickelt. Über die Lektüre von Jugendbüchern, die thematisch auf Problemlagen junger Menschen zugeschnitten sind, werden straffällige Jugendliche und Heranwachsende zur Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation und ihrer Tat angeregt. Im Rahmen dieses Projektes werden den jugendlichen ausgewählte Jugendromane und Kurzgeschichten vorgestellt und in Teilen gemeinsam mit den teilnehmenden Studenten gelesen. Dabei sollen die Jugendlichen auch zum Nachdenken über die Textpassagen angeregt und zum Lesen motiviert werden.
Die Vorbereitung
Mein Name ist Franziska Maier und ich studiere Soziale Arbeit an der Hochschule München. Im Rahmen des ETHIKUM Praxiskurses habe ich an dem Projekt KonTEXT teilgenommen. Seit November 2016 betreute ich gemeinsam mit einer Kommilitonin einen jungen, geflüchteten Afghanen, dem vom Richter 20 Sozial-Stunden verordnet wurden. Aus diesem Grund nimmt er auch an unserem Projekt teil, wo wir ihn kennengelernt haben. Im Rahmen des Projekts KonTEXT treffen wir uns regelmäßig mit ihm, wobei uns unsere Professorin Frau Caroline Steindorff-Classen fachlich und didaktisch durch mehrere Seminare und Schulungen auf die Aufgaben vorbereitet. Auch konnten wir während des Projektes jederzeit auf Ihre Unterstützung zählen und erhielten hilfreiche Tipps. Als ersten Schritt haben wir individuell für ihn ein Buch ausgewählt.
Der Projektstart
Für uns waren nicht nur die gemeinsamen Treffen anspruchsvoll, sondern auch die Kommunikation mit unserem „Mentee“. So brauchten wir bereits drei Anläufe, bis der erste Termin zustande kam. Daher lernten wir schnell, dass Geduld und Beharrlichkeit für die Zusammenarbeit mit jungen Straftätern essentiell sind. Auch wenn uns die ausgefallenen Treffen enttäuschten, lernten wir, dass alleine das Wahrnehmen unserer Treffen für unseren Mentee eine Herausforderung darstellte. Neben der Orientierung stellten auch kulturelle Unterschiede eine Schwierigkeit da. Unseren afghanischen Mentee riefen wir daher zur Erinnerung kurz vor jedem Treffen an. Allerdings führte auch dies nicht immer zum Ziel – er sagte trotzdem plötzlich kurzfristig ab oder erschien einfach nicht.
Die Treffen
Unsere Treffen verliefen jedes Mal ähnlich: Wir wählten einen freien Raum in der Hochschule aus und lasen zusammen in dem ausgewählten Buch. Anschließend sollte er das Kapitel in eigenen Worten zusammenfassen. Anfangs traute er sich nicht. Durch Zureden gelang es uns ihm Selbstvertrauen zu geben, so dass er mit unserer Unterstützung seine Bedenken überwinden konnte und sich traute, das jeweilige Kapitel zusammenzufassen. Die Zusammenfassungen gelangen ihm sehr gut, auch wenn er einige Worte nicht aussprechen konnte und kleinere Passagen vergaß. Wir unterbrachen ihn, wenn nötig, und übten mit ihm die Aussprache. Nach einigen Wiederholungen und langsamen, lautem Vorsprechen klappte es meistens. Gerade das Aufschreiben und Wiederholen der für ihn schwierigen Worte am Ende hat sich als sehr hilfreich erwiesen. Besonders schön war es, wenn wir seine Fortschritte sehen konnten. Uns ist dadurch bewusst geworden, dass jede Beziehung eine Entwicklung benötigt und dass positive Rückmeldungen für ihn essentiell sind. Neben dem Lesen sprachen wir mit ihm auch über sein Leben in Afghanistan. Häufig gab ihm eine Passage im Buch den Anstoß aus seinem Leben zu erzählen. Auch berichtete er von seinen Erfahrungen in Deutschland, vor allem redete er über seine Arbeit. Wichtig war, dass wir darauf achteten, wie weit er bereit war, sich zu öffnen und interessiert nachfragten, ihn aber nicht bedrängten.
Die äußeren Umstände
Erschwert wurde unsere Zusammenarbeit durch seine unsichere Wohnsituation. Aufgrund des Verlustes seines Wohnheimplatzes musste er einige Treffen absagen. Dadurch hat sich unser Projekt zeitlich um mehrere Wochen verzögert. Das verlangte uns eine hohe Frustrationstoleranz ab, zumal wir auch hier für das darauffolgende Treffen mehrere Anläufe benötigten. Hierbei war besonders wichtig, dass wir ihm zeigten, dass er nicht alleine war, und ihm unsere Unterstützung anboten. Nachdem er wieder einen Wohnplatz hatte, lief es auch mit unseren Treffen prompt wieder kontinuierlicher. Allerdings wurde uns zu einem bestimmten Zeitpunkt klar, dass wir auch mit Geduld und Verständnis nicht zu dem erwünschten Ergebnis des Projekts kommen würden. Daher haben wir die Verantwortung für unseren „Schüler“ der Leiterin des KonText-Projekts übergeben.
Fazit
Durch diesen ETHIKUM Praxiskurs habe ich verinnerlicht, dass es keine Schwäche ist, um Unterstützung zu bitten, sondern vielmehr eine große Stärke darin liegt, wenn man seine Fähigkeiten und Grenzen zu reflektieren weiß und erkennt, wann man alleine nicht weiter kommt. Auch wenn uns dieses Projekt an unsere Grenzen gebracht hat, habe ich mich gerne mit ihm getroffen und gelesen. Für uns war es eine spannende kulturelle aber auch fachliche Erfahrung, die unseren Horizont erweitert hat. Trotz aller Widrigkeiten hatte die Zusammenarbeit auch ihre positiven Seiten: Jeder Schritt nach vorne, den unser Mentee tat, bereitete uns große Freude.
Autorin: Franziska Maier