Rückschau zur Podiumsdiskussion am 25. Februar 2011
Nach der Begrüßung durch Frau Professor Dr. Angela Poech, Vorsitzende von Ethica Rationalis e.V., sprach Dr. med. Kambiz Rahbar, ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins, über die Wichtigkeit von ethischem Verhalten in der Gesellschaft bzw. im ärztlichen Beruf. In seiner Einführung in das Thema des Abends legte Kambiz Rahbar den Fokus auf die ethischen Dilemmata, mit denen die Menschen täglich konfrontiert sind, ob es ihnen bewusst ist oder nicht. Die Entscheidungen, die wir treffen, hätten nicht nur für uns selbst Konsequenzen, sie könnten das Leben anderer ebenso beeinflussen – wie viel mehr, so der Referent, trifft das doch auf den Arztberuf zu! In jeder Entscheidung müsse der Behandelnde die ethischen Aspekte mitbedenken, sich an die Stelle des anderen versetzen und überlegen, ob er selbst so behandelt werden möchte. Letztendlich führe dies zur Frage, was können Lehrende jungen Menschen mitgeben, um sie besser für das zu rüsten, was sie in ihrem beruflichen und medizinischen Alltag an schwierigen und herausfordernden Situationen erwartet?
Erste Runde: Defizite in der medizinischen Ausbildung?
Es folgte eine kurze Einführung von Eckhard Frick, Professor für Spiritual Care am Lehrstuhl für Palliativmedizin der LMU München, mit Vorstellung der Referenten am Podium. Den Anfang machte Pascal Berberat, Chirurg und Wissenschaftlicher Leiter des MedizinDidaktischen Centrums für Ausbildungsforschung und Lehre der TU München (MeDiCAL), der sich, wie er sagt, „weniger als Experte auf diesem Gebiet“ fühlt, sondern viel mehr als „Betroffener“. Er erzählte, dass er zunächst eine klassische Karriere als Chirurg eingeschlagen hätte, bis er dann irgendwann merkte, dass noch etwas Entscheidendes fehlt: In der Medizin gebe es Situationen, in denen Menschen an existentielle Grenzen kommen, wo „unsere biotechnischen Perspektiven“, die im Medizinstudium vermittelt werden, nicht ausreichten, um ein guter Arzt zu sein.
Danach legte Lucia Laugwitz, Studentin der Medizin und Philosophie an der LMU München, dar, dass das Medizinstudium eigentlich zunächst eine „intellektuelle Durststrecke“ bedeute und die essentiellen Fragen, die die Philosophie und Theologie an den Menschen stellen, nicht aufwerfe. Daher habe sie zunächst Philosophie studiert und erst später mit dem Medizinstudium begonnen. Als sie zum ersten Mal mit sterbenden Menschen konfrontiert war, habe sie gemerkt, dass man mit den Fragen, die man hat, eigentlich alleine dastehe – und dass selbst die Philosophie ihr nicht dabei geholfen habe, diese zu beantworten. Diese Erfahrung war für sie der Anlass, ein Symposium mit dem Titel „Denken und Handeln an den Grenzen des Lebens“ zu initiieren. Durch die große Resonanz, war es im Anschluss daran möglich, ein Wahlfach zu diesem Thema anzubieten, das Medizin und Philosophie im Mittelpunkt hatte.
Zuletzt richtete sich Eckhard Frick an Georg Marckmann, Professor für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der LMU München, mit der Frage: „Handeln in der Medizin – Was brauche ich in der Medizin für ein Rüstzeug, zusätzlich zum ärztlichen Werkzeug?“ Georg Marckmann stellt daraufhin zunächst ein Denkmodell auf: Eigentlich gebe es drei Ebenen, auf denen wir aktiv werden müssen: Auf der ersten Ebene müsse man sich fragen, welches Modell des Menschen wir vor Augen haben. Denn das biologische,naturwissenschaftliche Model schränke unsere Sichtweise in vielen Bereichen stark ein. Wenn wir mit dieser eingeengten Sichtweise, die wir im Studium erlernen, in die Praxis hinausgehen, seien wir nicht offen genug für die Bedürfnisse der Patienten oder für ethische oder humanitäre Fragen. Darüber liege eine zweite Ebene, die er als eine „Ebene der Alltagsethik“ bezeichnete. Eine Ebene, auf der relativ klar ist, welche Entscheidungen im medizinischen Alltag getroffen werden müssen. Dabei gingen jedoch bestimmte Verhaltensweisen, die uns sensibel machen für die Bedürfnisse der Patienten – z.B. mit Empathie in das Arzt-Patienten-Gespräch zu gehen – verloren. Als dritte Ebene nannte er den Bereich der Grundfragen in der Medizin, in dem ethische Konflikte auftreten, die uns zum Nachdenken oder Abwägen zwingen, was ethisch gesehen richtig oder falsch ist. Darunter fielen zum Beispiel Themen wie Sterbehilfe oder Eingriffe in das menschliche Genom. Georg Marckmann zog an dieser Stelle die Schlussfolgerung, dass man für jede dieser drei Ebenen unterschiedliche Instrumente benötige, um die Voraussetzungen für eine humane Medizin zu schaffen.
Zweite Runde: Vorbilder gesucht!
Eckhard Frick ging anschließend auf zwei zentrale Aspekte ein: die Notwendigkeit von „Vorbildern“ und von „Methoden der rationalen Analyse von ethischen Problemen, die dem ärztlichen Denken entgegenkommen“. Pascal Berberat ergänzte noch einen dritten Aspekt, den unmittelbaren Praxisbezug: Als Arzt habe man oft nicht mehr die Zeit zu reflektieren und dann überlegt zu handeln. Neben Handlungswissen benötige der Arzt „Weisheit“ im Sinne eines kritischen Reflektierens. Dies wurde von Lucia Laugwitz ergänzt, die betonte, dass Studierende die Möglichkeit des angstfreien Fragens haben sollten. Denn das beste Vorbild bringe nichts, wenn wir dieses nicht nutzen, um persönliche und ethische Fragen zu stellen.
Dritte Runde: Was ist zu tun?
Aus der anschließenden Diskussion am Podium ließen sich folgende Ziele für eine humanitäre medizinische Lehre formulieren:
– Ethische Verhaltensweisen sollten praxisorientiert ins Studium integriert werden.
Praxis alleine ist blind, und Theorie ohne Praxis ist wirkungslos. Wissen, so es nicht im Kontext gelehrt wird, fehlt die Transferfunktion. Es geht nicht um „additive“ Lehrinhalte, sondern um „integrative“ Vermittlung von Wissen und Erfahrung (Stichwort „forschendes oder problembasiertes Lernen“). Ohne die notwendigen Entscheidungsgrundlagen und die richtigen Methoden können die Studierenden im späteren beruflichen Anwendungsfeld keine „guten“ und „richtigen“ Entscheidungen treffen. Wie sollen sie wissen, wie sie sich beispielsweise angesichts von ethischen Dilemmata verhalten? Herausbildung von Diskursfähigkeit und kritischem Denken und die Fähigkeit, Konsequenzen des eigenen Handelns vorherzusehen und selbstbestimmt zu handeln, muss eingeübt werden!
– Die Studenten brauchen Leitfiguren und Vorbilder, die ihnen ethische Werte und Prinzipien vorleben.
Vielen Studierenden fehlen die ethischen Grundlagen, die es ihnen ermöglichen, Sachverhalte angemessen zu beurteilen und Wertkonflikte insbesondere in ihrem beruflichen Umfeld adäquat zu meistern. Das liegt unter anderem daran, dass die Werteorientierung unter dem Deckmantel der ‚Neutralität’ bewusst aus den Wissenschaften herausgeschnitten wurde, implizit aber sehr wohl weiter besteht – man denke nur an die Entrüstung über Forscher, die ihre Studienergebnisse manipulieren und damit gegen das Prinzip der Ehrlichkeit/Aufrichtigkeit verstoßen. Auch an der Hochschule sollte es Werte-Leitbilder geben, die als Richtlinie und Kodex für das gemeinschaftliche Handeln fungieren. Die Pflicht und Verantwortung, die wir gegenüber unseren Mitmenschen, insbesondere als Mediziner gegenüber Hilfe suchenden Patienten, tragen, sollten uns stärker bewusst werden.
– Interessierte Dozenten und Dozentinnen sollten sich zu Netzwerken zusammenschließen.
Das Konzept sollte deutschlandweit und aus der Mitte der Hochschulen und Universitäten organisiert werden – unter Umständen sogar interdisziplinär. Hierfür sollten interessierte und erfahrene Mediziner einbezogen werden, die versuchen, ethische Prinzipien in ihrem klinischen Alltag umzusetzen. Durch ein Multiplikatorenmodell kann ethisches Anwendungswissen auch flächendeckend in der Lehre Verbreitung finden. Dazu ist ein Schulungskonzept für die auszuwählenden Multiplikatoren notwendig.
An dieser Stelle möchten wir uns herzlich bei den Referenten für die konstruktive und gezielte Diskussion und beim Publikum für die vielen interessierten Fragen und Beiträge bedanken.
Autor: Kambiz Rahbar