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Vortrag „Ethisches Handeln als Grundlage nachhaltigen Wirtschaftens“ am 15. April 2010

Der Vortrag, der im Rahmen der Ringvorlesung „Zukunft gestalten – Ansätze nachhaltiger Entwicklung“ am Campus Pasing der Hochschule München stattfand, stieß sowohl bei Studierenden der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, als auch bei Professoren und Dozenten aus den drei Campus-Fakultäten sowie externen Gästen auf reges Interesse.

Zu Beginn definierte Angela Poech, Professorin für Entrepreneurship an der Hochschule München, den Begriff der Nachhaltigkeit in seinen wesentlichen zwei Dimensionen: So stellt sich Nachhaltigkeit zum einen als eine Form des Wirtschaftens dar, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Zum anderen kann nachhaltiges Handeln als ein umfassendes gesellschaftliches Konzept des Wandels gesehen werden, das das Ziel hat, die Lebensqualität der Menschen allgemein zu verbessern.

Dieser zweite Punkt sei jedoch, so die Referentin, stets mit einem normativen Anspruch verbunden: Demnach ist das Postulat der Nachhaltigkeit nicht einfach nur eine logische Notwendigkeit (sich selbst nicht die Lebensgrundlagen zu entziehen), sondern entspringe einer inneren Verpflichtung. Es gehe um Menschenrechte und Menschenpflichten: „Ohne die Einsicht, dass menschliches Handeln mit verantwortlichem Handeln einhergehen sollte, werden wir nicht weit kommen mit der Nachhaltigkeit.“

Das Prinzip Verantwortung

Zur Untermauerung zog die Referentin das „Prinzip Verantwortung“ heran, das der Philosoph Hans Jonas in Bezug auf die Anforderungen der heutigen Zeit folgendermaßen formuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Jonas betont, dass die Komplexität der modernen Welt nach einer neuen ethischen Orientierung ruft, dass es nicht mehr genüge, sich auf das Gebot der Nächstenliebe zu berufen, da der Nächste nicht mehr nur unser Ehepartner, Nachbar oder Kollege ist. Das Konzept des Nächsten sei umfassender und weitreichender – es schließe Menschen auf dem gesamten Planeten ein.

 

 

 

 


Das Postulat der Nachhaltigkeit und die Ursachen der Finanzkrise

Nach diesen einführenden Bemerkungen stellte Angela Poech die Frage, was das Postulat der Nachhaltigkeit für den Bereich der Wirtschaft und insbesondere den der Finanz- und Kapitalmärkte bedeutet. Der hohe Grad an Verflechtung führte bekanntlich zu Dominoeffekten, die – ausgehend von der Immobilienkrise in den USA – eine Bankenkrise, eine Finanzkrise und eine globale Rezession nach sich zogen, von der sich die Weltwirtschaft noch nicht wieder erholt hat. Aufbauend auf der Maxime von Hans Jonas erörterte sie die Frage, inwiefern unser Denken überhaupt in der Lage ist, die Wirkungen unserer Handlungen dahingehend zu beurteilen, dass sie mit der „Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden verträglich“ sind. Zur Beantwortung dieser Frage wurde im Anschluss beispielhaft aufgezeigt, an welchen Stellen im internationalen Finanzsystem dieses Verantwortungsprinzip – nämlich darüber nachzudenken, welches die langfristigen Wirkungen auf alle möglichen Betroffenen sein könnten – durchbrochen wurde und inwiefern die Nichtberücksichtigung an Verantwortung sich in fataler Weise aufaddiert. Ein kurzer Film führte in die Chronologie der Krise ein. (http://www.videogold.de/die-simpleshow-erklaert-die-finanzkrise/)

Ethisches Handeln als Grundlage nachhaltigen Wirtschaftens

Es folgte eine kurze Einführung in das vorherrschende Denkmodell der Ökonomie („Homo oeconomicus“), die deutlich machte, dass soziale und ökologische Kriterien in der in wirtschaftlichen Organisationen üblicherweise angewandten Kosten-Nutzen-Betrachtung nicht berücksichtigt werden können. Dies führt zur Frage, auf welche Weise den Anforderungen der Nachhaltigkeit aus Sicht der Gesellschaft, der Unternehmen, aber auch des einzelnen Bürgers Genüge getan werden kann.

An diesem Punkt stellte die Referentin die These auf, dass eine Gesellschaft als übergeordnetes System sich nur dann wandeln könne, wenn alle Teile des Systems sich ebenfalls wandeln. Und da Nachhaltigkeit im Kern ethisches Handeln impliziere – weil es um Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem Anderen gehe –, könne das Prinzip der Nachhaltigkeit nur erreicht werden, wenn jedes Subsystem und jedes Systemelement sich nachhaltig verhält. So, wie eine ethische Gesellschaft nur erreicht werden kann, wenn jeder Teil der Gesellschaft sich ebenfalls ethisch verhält. Auf Grundlage der drei Ebenen ethischen Handelns von Dietzfelbinger (2008) wurde anschließend ein Überblick gegeben, in welchen Bereichen und mit welchen Mitteln nachhaltiges Handeln derzeit bereits praktiziert wird:

  • auf der Ebene des Individuums, also der Führungsethik,
  • auf der Ebene der Organisation, Stichwort Unternehmensethik,
  • und auf der Ebene der Gesellschaft, das betrifft die Wirtschaftsethik als alles umfassendes Konzept.

 

 

 

 

 

 

Die Referentin zeigte auf, dass vor allem in Hinblick auf die Akteure Staat und Unternehmen bereits einiges in Richtung Nachhaltigkeit unternommen wurde, insbesondere auch in Hinblick auf die Regulierung der Finanz- und Kapitalmärkte. Ins Zentrum der Betrachtung stellte sie die Frage, wie individuelles nachhaltiges Handeln ermöglicht werden könne. Sie zitierte den Moralphilosophen Adam Smith (1723-1790), der 1759 in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ schreibt, dass „Vernunft, Grundsatz, Gewissen… der große Richter und Schiedsherr über unser Verhalten“ werden müsse. Smith schlage vor, dass wir uns in Gedanken einen virtuellen, gerechten Richter aufstellen sollen, der unsere Handlungen beobachtet und bewertet. Für die heutige Zeit müsse dieser Ansatz jedoch ergänzt werden: „Die Befolgung moralischer Normen“, so wurde die Behauptung des Wirtschaftsphilosophen Karl Homann wiedergegeben, „kann von den Akteuren – den Einzelnen und den Unternehmen, aber auch den Politikern – heutzutage nur dann erwartet werden, wenn sie sich davon Vorteile versprechen können.“

Nachhaltigkeit als wirtschaftlicher Erfolgsfaktor

Angela Poech griff diesen Gedanken auf und führte dazu aus, dass gerade die wirtschaftlichen Organisationen dazu in der Lage wären, das Prinzip der Nachhaltigkeit und der Führungsethik institutionell zu verankern. Auf diese Weise entstehe eine Unternehmenskultur, die das Prinzip Verantwortung zur Leitlinie erhebt und alle Handlungen der Mitglieder danach ausrichtet. Einige praktische Beispiele von Unternehmen, die ebendieses umgesetzt haben, folgten, um dies zu veranschaulichen, z.B. die kanadische Firma Patagonia. Auch eine Reihe deutscher Unternehmen fühle sich diesen Prinzipien verpflichtet – weil in diesen Firmen schon immer Werte im Fokus standen, wie das langfristige Bestehen des Unternehmens, Arbeitsplatzsicherheit, Kundenbindung usw. Die Philosophie dieser Unternehmen beruhe auf der Annahme, dass es langfristig ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor ist, die Interessen der so genannten Stakeholder, wie Eigentümer, Kunden, Mitarbeiter und Öffentlichkeit zu berücksichtigen: Überzeugte Kunden kommen wieder, zufriedene Mitarbeiter sind engagiert und setzen sich für ihren Arbeitgeber ein, fair behandelte Lieferanten glänzen durch Zuverlässigkeit und Qualität.

Das Postulat der Nachhaltigkeit und seine praktische Umsetzung

Im letzten Teil ihres Vortrags fokussierte Angela Poech auf die Frage, wie ethische Normen vermittelt und das Bewusstsein für nachhaltiges Handeln geschult werden kann. Wichtigstes Merkmal einer ethischen Persönlichkeit, so hätten Forschungen (siehe Crane & Matten 2007) gezeigt, ist die Eigenschaft der Integrität. Sie bezeichnet den Umstand, dass jemand sich an moralische Prinzipien oder Werte hält und dass er in seinen Überzeugungen konsistent ist, also unabhängig von Situation, Beeinflussung oder Versuchung an dem festhält, woran er glaubt. Wer Nachhaltigkeit konkret umsetzen möchte, sollte versuchen, in den kleinen täglichen Verrichtungen, in der Familie oder am Arbeitsplatz, das zu tun, was mit seinen persönlichen Werten in Einklang steht. Hier betonte die Referentin: „Agieren Sie im Bereich Ihrer Möglichkeiten und setzen Sie auf die Kombination aus Gewissen und Vernunft, um zu wissen, was Ihre Handlungsspielräume sind und wie sie diese nutzen können.“ Integrität sei im Übrigen eine Eigenschaft, die nicht nur den Mitmenschen, sondern auch der Person selbst zugute kommt, wie betont wurde: „Gilt einer Ihrer Mitmenschen als integer, wird er von anderen geschätzt und geachtet werden.“ Eine integre Führungskraft, ein integrer Angestellter, ein integrer Kundenberater werde in erster Linie selbst von seinem Verhalten profitieren: Weil er das Vertrauen seiner Umgebung genießt, weil er als fair wahrgenommen wird, weil man ihn um Rat fragt, weil man ihm bereitwillig Verantwortung überträgt, weil er mit sich im Reinen ist und nichts zu verbergen hat.

Welches Handlungsprinzip könnte man nun, so wurde an dieser Stelle die Frage aufgeworfen, auf den drei erwähnten Ebenen als richtungsweisend annehmen? Auf der äußersten und mittleren Ebene von Staat, Wirtschaft und Unternehmen gelte das Nachhaltigkeitspostulat: „Handle und wirtschafte so, dass die Lebensgrundlagen für alle erhalten bleiben!“

Auf der Ebene des Individuums könnte das Prinzip Verantwortung in Form der „Goldenen Regel“ umgesetzt werden. Dazu berief sie sich auf einen Vortrag des amerikanischen Religionswissenschaftlers James Morris, der wiederum aus einer Abhandlung des modernen Philosophen Nur Ali Elahi zitiert:

„Whatever you don’t like and don’t want for yourself, don’t wish it for others either. Strive to protect others from suffering harm, in the same way you try to keep harm and injury from yourself. Whatever pleases you and you want for yourself, wish that for others as well: just as you strive for your own benefit, make the same effort for the good of others.“ (Elahi, N.A., in Morris 2007)

Als Erklärung fügte sie hinzu, sie habe diese Definition gewählt, weil sie die uns bekannte Regel „Was Du nicht wünschst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu“ erweitere: Es gehe darum, sich aktiv um das Wohlergehen anderer zu bemühen. Es gehe darum, Nachhaltigkeit zu üben – in der Praxis, im Alltag, im täglichen Miteinander. Nachhaltigkeit sollte sich mithin nicht nur auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen beziehen, sondern jedes Geschöpf dieses Planeten umfassen. Denn jedes Geschöpf sei mit derselben Würde ausgestattet und verdiene es daher, respektvoll behandelt zu werden. Praktisches nachhaltiges Handeln richte damit den Fokus auf die Rechte Anderer: Welche Pflichten habe ich meinen Mitmenschen gegenüber? Was bedeutet es, andere vor Schaden zu schützen? Was bedeutet es, sich für andere so einzusetzen, wie man sich für seine eigenen Interessen einsetzt? Was bedeutet es, anderen dieselben Vorteile zu verschaffen, die man selbst in Anspruch nehmen möchte?

Die Referentin schloss den Vortrag mit den Ergebnissen einer kleinen Meinungsumfrage unter Studierenden. Diese reflektiere, was auch die Wissenschaft sage: dass Menschen bis zu einem gewissen Grad durch Einsicht zu einem bestimmten Handeln zu bewegen seien (z.B. in Form des Gewissens), zu einem gewissen Grad aber „Anreize“ bräuchten, wie Homann es formuliert. Diese Anreize würden von Institutionen geschaffen – und die Institution Hochschule habe erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen dieser Regelwerke. Deswegen sei durch diese Ringvorlesung – in Anspielung auf das fotografische Motto der Vorlesungsreihe – „der erste Schritt getan und das erste Pflänzchen gesetzt“.

Im Anschluss an die Vorlesung folgte eine kurze Diskussion, die einige Schlüsselbegriffe weiter vertiefte, wie nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen, Prinzipien einer ökologischen Rechnungslegung oder auch die Frage nach der Integration von Werten in persönliche Entscheidungen.

 

Quellen (Auswahl):

Crane, A., Matten, D.: Business Ethics (2007)

Dietzfelbinger, D.: Praxisleitfaden Unternehmensethik (2008)

Jonas, H.: Das Prinzip Verantwortung (2003)

Morris, J.: Ostad Elahi on Spirituality in Everyday Life, Public Lecture presented at University of California at Santa Barbara, Department of Religion (2007);
Link: http://escholarship.bc.edu/james_morris/46/

Smith, A.: The Theory of Moral Sentiments (1759)

Ulrich, P.: Integrative Wirtschaftsethik (2008)